Das Museo del Baile Flamenco in Sevilla ist nicht nur das Einzige seiner Art, sondern kann darüber hinaus mit vielfältigen Angeboten aufwarten: Neben dem Museumsbetrieb selbst gibt es Tanzunterricht, Konzerte, einen Flamencoladen und eine Bar. Grund genug, die Gründerin Cristina Hoyos und ihr innovatives Projekt vorzustellen, und sie, sowie den Museumsdirektor Kurt Grötsch, zum Interview zu bitten.

Die Bailaora Cristina Hoyos wuchs Mitte der 40er Jahre im Viertel Alfalfa in Sevilla auf. Keiner der Familienmitglieder war Tänzer, Gitarrist oder Sänger, doch ihrem Vater hat sie es zu verdanken, dass sie schon früh mit dem Flamenco in Kontakt kam: Als Aficionado lauschte er gerne den Flamencogesängen im Radio und Cristina improvisierte kleine Pataítas dazu. Sehr schnell bemerkte ihr Vater, dass sie das Talent zum Tanzen besitzt. Und so wurde ihr, obwohl die Familie kaum über finanzielle Mittel verfügte, eine Ausbildung bei der bekannten Lehrerin Adelita Domingo aus Sevilla ermöglicht. Nach erfolgreichem Abschluss machte sie schon bald ihre ersten Erfahrungen als professionelle Künstlerin im Tablao „Patio Andaluz“. Mit dem verdienten Geld konnte sie sich über Wasser halten und weiterführenden Tanzunterricht bezahlen. Bald ging es mit ihrer Karriere steil bergauf, denn sie bekam Engagements in New York (mit Manuela Vargas) und Madrid. In letztere Stadt zog sie mit gerade einmal 19 Jahren, um regelmäßig in den dortigen Tablaos, wie zum Beispiel im „Duende“, auftreten zu können. Ihr damaliger Freund, ebenfalls im Tanzgeschäft, sagte eines Tages zu Antonio Gades, er solle doch einmal mit seiner Freundin Cristina auf die Bühne gehen. Gades gab Cristina noch Zeit, um sich tänzerisch auf diese Herausforderung vorzubereiten, und nahm etwas später, genauer gesagt 1969, den Vorschlag an. Von diesem Moment an blieben sie 20 Jahre lang ein Tanzpaar. Die wohl größten Erfolge erzielten beide (zusammen mit Cristinas Ehemann Juán Antonio Jiménez) mit der Carlos Saura Filmtrilogie „Bodas de Sangre“ (1981), „Carmen“ (1983),  und  „Amor Brujo“ (1986). 1983 wurde sie außerdem in Paris als die am besten tanzende Carmen ausgezeichnet, ein Titel, den sie noch heute stolz tragen kann. Doch sehnte sich die Bailaora danach, nicht als Carmen, sondern wieder als Cristina wahrgenommen zu werden. Tarantos, oder Baile mit Bata de Cola gingen ihr ab, so dass sie, während Antonio Gades weiterhin mit „Carmen“ tourte, ihre erste eigene Kompanie namens „Sueño Flamenco“ gründete. Cristina war mit ihren Projekten durch und durch erfolgreich. Das Ballet Flamenco de Andalucía hatte bereits zweimal angefragt, ob sie nicht die Leitung übernehmen wolle. Bei der dritten Anfrage, im Jahr 2004, nahm sie das Angebot an. In dieser Etappe ihrer Karriere brachte sie Federico García Lorcas Werke „Yerma“, „Poema del cante jondo en el Café de Chinitas“ und „Romancero Gitano“ auf die Bühne. Mit „Yerma“ erhielt sie den Premio Max als beste weibliche Tanzinterpretin und „Romancero Gitano“ wurde 2006 als meist besuchte Aufführung im Rahmen des Lorcazyklus in Granada ausgezeichnet.

In einem Interview sagte Cristina einmal von sich, sie sei eine Kämpferin, denn im Leben bekomme man so gut wie nichts geschenkt. Wenn man ihren Lebenslauf betrachtet, sieht man, dass sich die in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Tänzerin ihre Erfolge mit harter Disziplin und Willen erarbeitete. So zog sie vor acht Jahren als Zeichen der Dankbarkeit für ihren Erfolg ein innovatives, eigenfinanziertes Projekt auf: Das erste Flamencotanzmuseum überhaupt.

Als Standort für das Museo del Baile Flamenco wählte sie das Viertel Santa Cruz im Zentrum von Sevilla. Sie selbst ist nur unweit davon entfernt aufgewachsen. Das Museum befindet sich in einem prächtigem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, welches auf einem römischen Tempelfundament errichtet wurde. Um die verschiedenen kulturellen Einflüsse, die auf den Flamenco einwirkten und wirken, zu symbolisieren, ließ Cristina die Bibel, den Talmud, den Koran und alte vedische Schriften einmauern. So soll das Museo del Baile Flamenco einen Ort des friedlichen Zusammenseins darstellen. Und tatsächlich trifft man im Museum auf ein bunt gemischtes Publikum: Hierhin zieht es sowohl Besucher, die noch nie mit dem Flamenco in Berührung gekommen sind, als auch erfahrene Aficionados. Bei einer individuellen Tour durch das interaktive Museum werden in fünf verschiedenen Räumen auf spielerisch-didaktische Art Ursprünge und Entwicklung des Flamenco, sowie die verschiedenen Palos, erklärt. Für die Bailaores ist mit Sicherheit der Raum mit ausgewählten Bühneneoutfits von Pastora Imperio, La Argentinita, Carmen Amaya, Matilde Coral, Antonio Montoya, El Güito, etc. besonders interessant. Im letzten Raum wird man durch eine Videoprojektion von einer zeitgenössischen Choreographie des andalusischen Flamencoballets eingeschlossen, die dem Besucher die Quintessenz des Flamenco, den Duende, spüren lassen soll. Hat man die Museumstour abgeschlossen, kann man in zwei weiteren Stockwerken wechselnde Ausstellungen besichtigen. Derzeit sind es unter anderem  Gemälde von Marvin Steel und Jean Lamouroux, oder Kostümentwürfe von Pedro Moreno für Cristina Hoyos´ Interpretation des „Romancero Gitano“.

Zwei täglich stattfindende Bühnenshows, mit einer Bailaora, einem Bailaor, Flamencogesang -und Gitarre, runden das Museumsprogramm ab. Wem hinterher noch ein Mitbringsel für zu Hause fehlt, dem empfehle ich einen Besuch im Museumsladen, denn dort gibt es für jedermann etwas zu finden: Sei es ein handbemalter Fächer für die kleine Nichte, eine lang gesuchte und schwer erhältliche CD für die persönliche Sammlung, oder wie wäre es mit einer aktuellen Ausgabe der „Anda!“, weil man seine aus Versehen zu Hause liegen gelassen hat? ,-)

Natürlich bietet das Museum während der Biennale ein Extraprogramm an Konzerten, Tanz- Gesangs- und Compás- Workshops für alle Niveaus und Sonderausstellungen zum Thema Flamenco. Wer also das Glück hat zu dieser Zeit in Sevilla zu sein, sollte spätestens dann einen Museumsbesuch einplanen!

Kurt Grötsch ist, seitdem die Türen des Museo del Baile Flamenco für Besucher aus aller Welt offen stehen, der Museumsleiter. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit ihm und der Museumsgründerin Cristina Hoyos zu unterhalten.

anjanita: Kurt, wie bist du zum Flamenco gekommen?

Kurt Grötsch: Vor vielen hundert Jahren war ich Dozent für Hispanistik an der Uni in Erlangen. Im Laufe der Studien war natürlich der Flamenco auch (akademischer) Inhalt des Lehrprogramms, allerdings eher als kulturelles und anthropologisches Phänomen Spaniens. Erst nachdem ich den Film „Carmen“ von Saura mit Cristina Hoyos gesehen hatte, begann ich die Tiefe des Flamencos zu erahnen. Ich war bis zu dieser Zeit hauptsächlich in Galicien, wo es eher Hexen als Flamenco gibt, und hatte bis zu diesem Zeitpunkt keinen direkten Zugang zu Flamenco. Als ich dann nach Madrid umsiedelte, änderte sich dies. Ich verlies damals den Unibetrieb, machte einen Master in Business  Administration, übernahm die Leitung einer Sprachenschule und begann wenig später im Freizeit- und Kulturmanagementbereich zu arbeiten. Ich lernte dann auch Cristina Hoyos kennen. In der Begegnung entstand dann die Idee das Flamencotanzmuseum in Sevilla zu gründen.

 

anjanita: Wie siehst du das Museo del Baile Flamenco in fünf Jahren? Wird das Museum sein Angebot für das Publikum erweitern?

Kurt Grötsch: Das Museum ist ja sowieso mehr als ein ‘einfaches’ Museum. Wir haben einen eigenen kleinen Verlag („Flamenco Sapiens”), machen Kurse, machen künstlerische Experimente in unserem Flamencolaboratorium wie z.B. Flamencorap, Flamencohiphop, erforschen die Flamencotherapie, machen Ausstellungen in und außerhalb des Museums, haben unsere Flamenco Shows, etc. Insofern ist die Frage ziemlich offen. Ich hoffe natürlich, dass wir die noch fälligen Kredite und Zinsen (es ist ja ein privates Museum) weiterhin zurückzahlen können, dass wir unser soziales Programm wie die Flamencotherapie, unsere Arbeit mit Kindern etc. wieder aufnehmen können, verstärkt auch mit den Institutionen zusammenarbeiten können, die den privaten Flamencounternehmern eher den Rücken kehren als die Hand reichen, zur Flamencoentwicklung in China beitragen und vielleicht unser Museum als multimediale, mobile Ausstellung  auf den Weg bringen.

 

anjanita: Danke Kurt! Nun zu dir Cristina: Adelita Domingo war deine erste Lehrerin. Was hast Du von ihr gelernt?

Cristina Hoyos: Ihr ging es nicht nur rein um den Tanz. Wir Schüler sangen Coplas, und wenn wir nicht gerade tanzten, übten wir das Kastagnettenspiel, welches alle ihrer Schüler gut beherrschten.

 

anjanita: Auch die Fiestas Flamencas spielen im Lernprozess vieler Künstler eine Rolle. Wie wichtig waren sie für dich?

Cristina Hoyos: Mir gefiel es als Flamenca auf die Feria zu gehen, wie alle Mädchen in meinem Alter. Es machte mir Spaß dort zu tanzen, zu sehen und gesehen zu werden. Wir hatten nie eine Caseta, aber mit belegten Brötchen, Getränken und Freunden hatte ich dort immer eine gute Zeit. Auf Fiestas Flamencas jedoch, wo bezahlte Künstler auftraten, habe ich mich nie besonders wohl gefühlt. Wir verdienten zwar eine Kleinigkeit und natürlich habe ich dabei viel gelernt, meinen Kollegen beim Tanzen zuzusehen. Aber ich wollte immer auf die Bühne und hörte nicht auf von großen Theatern zu träumen.

 

anjanita: Und der Traum von einem Flamencotanzmuseum, wann kam der?

Cristina Hoyos: Ich habe nicht einmal in meinen kühnsten Träumen daran gedacht, jemals ein Museum zu eröffnen, doch es näherte sich das Ende meiner aktiven Laufbahn als Tänzerin und ich wollte dem Flamenco etwas zurückgeben, nachdem ich ihm soviel zu verdanken habe. Zuerst dachte ich an eine Schule, dann an eine Buchhandlung, an einen Kulturverein, doch dann kam die zündende Idee: Ein Flamencotanzmuseum soll es sein, um den Flamenco entsprechend zu würdigen! Das erste auf der ganzen Welt, in dem wir auf verschiedensten Sprachen den Wert dieser Kunst vermitteln können. Und so habe ich alles bis auf den letzten Cent in das Projekt gesteckt und wir werden sehen, ob ich die bis 2027 laufenden Kredite begleichen kann…

 

anjanita: Bei soviel Herzblut: Was möchtest du den Besuchern mit auf dem Weg geben?

Cristina Hoyos: Der Flamenco ist einzigartig und im kulturellem Schmelztiegel Andalusiens entstanden. Ich wünsche mir, dass die Besucher etwas über den Flamenco erfahren und ihn darüber hinaus lieben lernen als das was er ist: wahrhaftige Kunst.

 

[Das Interview wurde erstmals im November 2014 in der Flamenco-Zeitschrift Anda Nr.116 veröffentlicht]